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Realität des Menschens im Einfluss des Internets

Veröffentlicht am von Shade

 

Ehe ich auf meinen Gedanken hier eingehen möchte, ist es mir erst einmal ein wichtiges Anliegen, das Thema der Realitätserfahrung an sich kurz aufzugreifen. Für mich ist dabei Korzybskis Satz "Die Landkarte ist nicht das Gebiet" eine wichtige Basis, mich daran zu erinnern, meine Meinung und Wahrnehmung regelmässig zu überprüfen und gegebenenfalls zu erneuern.

 

 

 

Besonders empfinde ich diese Herangehensweise als wichtig, wenn es sich um Menschen handelt. Mein Gegenüber kann in der kurzen Zeit von heute auf morgen eine Erfahrung machen, die ihn seine Art und Weise ändern lässt; so dass meine Landkarte zu ihm überdacht werden sollte. Und wenn ich mir bewusst bin, was ein Tag ändern kann, dann ist mir ebenso bewusst, was Jahre ändern können.

 

 

 

Dazu also erst einmal eine kleine Anekdote, die ausschlaggebend war, und mich über diese Theorie überhaupt erst nachdenken liess...

 

 

 

Vor etlichen Jahren entschied sich eine Bekannte von mir (ich werde sie hier A. nennen), auszuwandern um in Deutschland ihren Freund zu heiraten. Sie brach dabei etliche Brücken hinter sich ab, verabschiedete sich auch in verschiedenen Foren usw. Mein Angebot, per Email in Kontakt zu bleiben, schlug sie aus; weil sie unter anderem dem Vorsatz folgte, "die Vergangenheit hinter sich zu lassen.". Ein paar Jahre später dann bekam ich von A. eine Freundschaftsanfrage bei Facebook... keine Ansage, kein Gespräch, einfach bloss eine Anfrage. Ich fragte damals nach, warum sie dies täte, und das Gespräch endete mit einer Aussage, die wiederum darauf hinwies, dass sie ja eigentlich die Vergangenheit hinter sich lassen solle.

 

 

 

Nun, wieder ein paar Jahre später, erhielt ich eine weitere FB-Anfrage, wiederum ohne Gesprächsangebot, einfach so. Da ich inzwischen eine Ausbildung gemacht habe, welche unter anderem den Aspekt der Kommunikation vertieft, ist es mir umso wichtiger, den Menschen hinter einer Anfrage besser zu verstehen, besonders natürlich wenn ich zu dieser Person seit Jahren keinen Kontakt hatte und ich also - wie oben beschrieben - davon ausgehen kann, dass die Landkarte/das Bild, welches ich von ihr habe, mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht mehr treffend ist. Persönlich gehe ich davon aus, dass sich Menschen über die Jahre hinweg ändern oder gar weiterentwickeln, doch auch hier sind Jahre keine Garantie dafür.

 

 

 

Auf meine Frage hin bekam ich eine altbekannte Antwort: "Ok, sorry, ich soll besser die Vergangenheit loslassen".

 

Ich musste mehrere Male nachfragen, um eine Antwort zu bekommen, die meine Frage erklärte - wenn auch leider erst, nachdem die Reaktionen sehr persönlich und angriffig geworden waren. Doch auch dies bestätigt meine Theorie, auf die ich hinauswill.

 

 

 

A. erklärte mir, sie sei nostalgisch, was ich teilweise auch nachvollziehen kann. Zumindest half mir diese Aussage ein wenig, mich in A. einzufühlen. Doch ehe ich dort ein Gespräch auf Augenhöhe aufnehmen konnte, erklärte mir A, ich solle eine FB-Anfrage annehmen oder nicht, so als würde sie mir verbieten, den Menschen hinter Anfrage und Bildschirm kennenzulernen.

 

 

 

Da ich davon ausgehen konnte, dass hier nicht nur die "Nostalgie" sprach, blockierte ich sie erst einmal, doch stellte ich mir die Frage, was es mit dieser Begebenheit auf sich hatte. Ich habe schon einige Erlebnisse über das Internet gemacht, die ich persönlich einfach deswegen interessant finde, weil mich der Mensch an sich sowie seine Psyche und eben seine soziale Entwicklung fasziniert. Und gerade der Einfluss des Internets ist in meinen Augen nicht von der Hand zu weisen.

 

 

 

A. ist somit nicht die einzige Person, bei der sich die Frage stellt, inwiefern man als realen, lebendigen Mitmenschen, wahrgenommen wird. Dabei betrifft dies auch nicht unbedingt nur den Umgang (von Austausch möchte ich hier nicht reden) über Internet.

 

 

 

So schrieb mich F. nach Jahren an, um mir einen Link mitzuteilen, um mir eine Freude zu machen.

 

 

 

Und P. zB erwähnte, dass es nichts daran ändern würde, dass ich ihn aus der FB-Liste löschen würde. Ich würde immer eine Freundin für ihn sein.

 

 

 

Wie man also erkennen kann, geht es in keinen dieser Fälle um Austausch mit zwei realen Personen, sondern der Mensch stuft sein Gegenüber zum Objekt herab, welches lediglich den eigenen Glaubenssätzen dient, denen er gerecht bleiben will.

 

 

 

Wenn also A. den Glaubenssatz in sich trägt, die Vergangenheit loslassen zu müssen, ist sie gezwungen, sich eine Art Vergangenheit aufrecht zu erhalten, die sie von Zeit zu Zeit loslässt, damit der Glaubenssatz, mit dem sie sich identifiziert, weiterhin eine Daseinsberechtigung hat - und somit auch sie in dieser identifizierter Form. Zu glauben, dass ich als Mensch mit Entwicklung, Gefühlen und eigenem Leben eine Rolle spielen würde, wäre Irrsinn.

 

 

 

Wenn als F. den Glaubenssatz in sich trägt, ein guter Mensch zu sein, der anderen Freude bereitet, so benötigt er Projektionsflächen für diese Freude. Die Reaktion dieser Menschen wird abgewürgt, es wird sich gleich mit "ich habe es ja nur gut gemeint" verabschiedet. Jede Art von Kommunikation wird unterbunden, weil sie dazu führen könnte, dass man ihm vor Augen hält, dass seine Handlungen eben keine Freude bereiten.

 

 

 

Und wenn P. im Glauben lebt, dass er bestimmt, was Freundschaft ist, benötigt er Objekte, denen er symbolisch diese Freundschaft aufdrückt, ohne in einen Austausch überzugehen, der ihm die Illusion dieser "Kontrolle" aufzeigt. Er untersagt sogar seinem Gegenüber eine Anteilnahme dessen, was er ihm auferlegt.

 

 

 

Ich könnte diese Liste endlos weiterführen - durch eigene Erfahrungen wie auch durch die Erfahrungen anderer Menschen - doch in diesem Augenblick möchte ich einen therapeutischen Blick auf das Thema werfen.

 

 

 

Diese "Verobjektivierung eines Menschen" ist Therapeuten hinlänglich bekannt! Man spricht von "perversem Narzissmus".

 

 

 

Gerade das Internet, das uns jeden Blick auf den Menschen hinter den hier zitierten Fällen entzieht, verstärkt die Entwicklung in die Richtung des gerade erwähnten Narzissmus. In diesen Fällen steht der Mensch alleine auf seiner Seite und kann als einzige Art von Liebe nur noch den Narzissmus aufrechterhalten und wird dadurch fast automatisch seine Gegenüber (die er ja nicht real wahrnehmen kann) zu Objekten degradieren.

 

 

 

Dass sich diese Entwicklung dann perversiert, zeigt sich in anderen Aspekten, an denen man eben auch "perversen Narzissmus" erkennen kann:

 

 

 

zB:

 

Versucht man, seine Position zu erklären und weigert man sich, sich der Positionierung zu unterwerfen, wird man mit Schuldzuweisungen angegriffen.

 

Es werden einem eigene Entscheidungen verboten (ich darf nicht entscheiden, "Freund" zu sein, ich darf nicht nachfragen, wenn jemand eine Anfrage schickt, usw)

 

 

 

Auch der Fakt, dass Kommunikation unterbunden und nie ein Gespräch mit mehreren Leuten zugelassen wird, zeigt erste Anzeichen dazu, dass man von anderen getrennt sein soll, bzw in deren Wahrnehmung schon so vermutet wird.

 

 

 

 

 

Hier zeigt sich mir also die "soziale" (bzw. anti-soziale) Tendenz der Psyche der Menschen, wenn sie nicht beginnt, bewusst dem Einfluss des Internets Einhalt zu gebieten. Dies bedeutet für mich nicht, dass man Internet oder Facebook usw abschaffen soll, sondern dass ein Gegengewicht erschaffen werden kann, indem man nicht nur zukünftigen Generationen sondern auch den heutigen Generationen die Möglichkeit erschafft, die eigene Identität (als Gegenstück zum Dazugehörigkeitsgefühl, zB: Ich habe auch Facebook) erkennen und respektieren zu lernen, um dann die Identität hinter einem Internet-Profil kennen lernen zu wollen. Persönlich steht für mich dazu eine erwachsene Kommunikation als Lösung im Vordergrund. Wichtig ist für mich dabei eben auch der Blick auf die "mittlere" Generation, die in meinen Augen mit Internet deswegen überfordert wurde, weil sie nun nicht mehr entscheiden kann, zu welcher Gruppe sie denn gehören möchte: zu denen, die noch ohne Internet ein Leben hatten oder zu jenen, die sich mit Internet auskennen. Sie sind in meinen Augen die Gruppe, die die stärkere Problematik hat... und leider auch die Gruppe der Eltern, die die nächste Generation erzieht.

 

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